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Der Deutsche Richterbund (DRB) hat zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren Stellung genommen.

A. Tenor der Stellungnahme

Die mit der geplanten Gesetzesänderung verbundene Stärkung der Rechte von Zeugen und möglichen Geschädigten im Strafverfahren ist wichtig, um Zeugen und mögliche Opfer von Straftaten besser schützen zu können. Dies trägt auch zu einer Verbesserung der Qualität der Zeugenaussagen bei und hilft damit der Wahrheitsfindung. Kritisch sieht der DRB, dass der Gesetzentwurf weiterhin keine Definition des „Geschädigten“ für das deutsche Strafverfahren vorsieht. Außerdem sollte für die psychosoziale Prozessbegleitung das Verbot des Gesprächs über den Tatvorwurf als Standard vorgegeben werden.

B. Bewertung im Einzelnen

Zu § 48 Abs. 3 StPO n.F., Definition der Person des „Verletzten“:

Aus Sicht des DRB ist es unabdingbar, dass der deutsche Gesetzgeber definiert, wer „Verletzter“ im Sinne des deutschen Strafprozessrechts ist. Diese Definition kann nicht mehr, wie bisher, durch die Rechtsprechung aus dem „jeweiligen Funktionszusammenhang“ (Referentenentwurf S. 9) abgeleitet werden. Der vorgelegte Gesetzentwurf dient der Umsetzung der Opferschutzrichtlinie, daher muss der Gesetzgeber vorgeben, in welchem Verhältnis der Begriff des „Verletzten“ nach deutschem Recht zum „Opfer“ des Art. 2 Abs. 1a der Richtlinie steht. Es ist gesetzlich klarzustellen, ob sich die Verletzteneigenschaft im deutschen Recht für alle Bereiche ausschließlich durch die Opferschutzrichtlinie definiert oder nur dort, wo konkrete Vorgaben der Richtlinie umgesetzt werden. Dies ist insbesondere bei der Festlegung der Berechtigung für eine psychosoziale Prozessbegleitung von Bedeutung.

Eine gesetzliche Definition des „Verletzten“ ist auch deshalb notwendig, weil § 48 Abs. 3 StPO n.F. („Ist der Zeuge zugleich Verletzter …“) dem erkennenden Gericht die zwingende Prüfung auferlegt festzustellen, ob einem Zeugen als „Verletzten“ besondere Schutzrechte zuzubilligen sind. Dabei muss das Gericht verbindlich entscheiden, ob ein Zeuge „Verletzter“ ist. Anders als im Eröffnungsbeschluss, für welchen hinreichender Tatverdacht genügt, zwingt der Wortlaut des § 48 Abs. 3 StPO n.F. das Gericht dann zu der Festlegung, dass eine Straftat stattgefunden hat, dessen Opfer der Zeuge ist, wenn die Definition des Art. 2a der Opferschutzrichtlinie zugrunde gelegt wird („Person, die eine körperliche … Schädigung oder einen wirtschaftlichen Verlust, der direkte Folge [„which was caused“] einer Straftat war, erlitten hat“, Art. 2a (i)). Es besteht daher die Gefahr, dass sich Gerichte, die eine solche Feststellung treffen, der Besorgnis der Befangenheit ausgesetzt sehen.

Eine deutsche Definition des „Verletzten“ ist auch deshalb unabdingbar, weil das Gericht durch § 48 Abs. 3 n.F. gezwungen wird, in der Hauptverhandlung vor einer Zeugenaussage zu prüfen, ob dieser „Verletzter“ ist und besonderer Schutzmaßnamen bedarf. Da diese Feststellung vor einer rechtskräftigen Verurteilung getroffen werden muss, droht der Konflikt mit der Unschuldsvermutung zumindest in jenen Fällen, in welchen – wie z. B. beim Vorwurf der Vergewaltigung im persönlichen Umkreis – nur ein Täter in Betracht kommen kann.

Die im Kommissionsentwurf der Richtlinie enthaltene Vorgabe, sicherzustellen, dass jemand bis zum gegenteiligen Beweis seiner Schuld als unschulStellungnahme dig zu gelten hat und nicht so auf Beschuldigte Bezug genommen wird, als ob diese verurteilt wären (Art. 3, 4 des Vorschlags), wird kaum einzuhalten sein, wenn das Gericht den oder die Hauptbelastungszeugen/in bereits vor der Vernehmung als Verletzte(n) bezeichnet.

Es ist daher unabdingbar, im Gesetz konkret festzulegen, unter welchen Voraussetzungen das erkennende Gericht eine(n) Anzeigenerstatter(in) oder Zeugen(in) vom erkennenden Gericht als „Verletzte(r)“anzusehen hat, mit welcher Verbindlichkeit dies zu geschehen hat und welche Feststellungen ein Gericht treffen kann, ohne gegen die Unschuldsvermutung zu verstoßen oder sich der Gefahr der Befangenheit auszusetzen.

Dabei verkennt der DRB nicht, dass Zeugen vor Gericht geschützt werden müssen. Die im Referentenentwurf für § 48 Abs. 3 Nr. 1-3 StPO n.F. vorgesehenen Rechte werden als wichtige Bestandteile eines angemessenen Zeugenschutzes angesehen. Sie stehen jedoch durch die verstreuten Vorschriften der §§ 168e, 247a, 68a StPO, 171b GVG bereits jetzt allen Zeugen zur Verfügung, unabhängig davon, ob sie „Verletzte“ sind oder nicht. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die neu geschaffene Prüfungspflicht des Gerichts in § 48 Abs. 3 StPO n.F. gegenüber den jetzigen Regelungen für „Verletzte“ tatsächlich einen Mehrwert hat und ob die oben genannten Probleme eine solche Regelung rechtfertigen.

Kritisch gesehen wird die Möglichkeit der Stellungnahme einer Opferhilfeeinrichtung, ohne dass Kriterien für die Sachkunde von deren Mitarbeitern und die Qualität der Stellungnahme aufgestellt werden.

Zu § 158a StPO und den Übersetzungen:

Die in § 158a StPO vorgesehene Mitteilung eines Anzeigeneingangs wird vom DRB als unbedenklich angesehen, sofern in der RiStBV klargestellt wird, dass diese Bestätigung nur eine Feststellung über die Anzeige mit der dort genannten Tat, dem Tatort und der Tatzeit enthält und weitere Ausführungen zum Sachverhalt oder zur rechtlichen Würdigung entbehrlich sind.

Mit nicht unerheblichen Kosten dürften die in §§ 158b, 171, 406d Abs. 1 Satz 1 n.F. StPO geforderten Übersetzungsleistungen verbunden sein. Wesentlich größer im Kostenumfang werden die Übersetzungen der Einstellungsverfügungen und die in § 397 Abs. 3 StPO n. F. vorgegebene Übersetzung schriftlicher Unterlagen sein. Der DRB verkennt nicht, dass diese Übersetzungen von Art. 7 Opferschutzrichtlinie vorgegeben sind, möchte jedoch darauf hinweisen, dass diese Kosten im Rahmen der bisherigen Kostenansätze für Übersetzungskosten in Strafverfahren kaum zu tragen sein werden.

Zu § 406d StPO:

Zu begrüßen ist, dass die gem. § 406d Abs. 2 Nr. 3 n.F. StPO zu erfolgende Mitteilung über eine Flucht des Beschuldigten oder Verurteilten und über getroffene Schutzmaßnahmen nur auf Antrag erfolgt. Damit wird der Umsetzungspflicht des Art. 6 Abs. 5 der Opferschutzrichtlinie Genüge getan und verhindert, dass über anlasslose Mitteilungen Anzeigenerstatter unnötig irritiert werden.

Zu § 406g StPO:

Bei der nicht von der Opferschutzrichtlinie geforderten, jedoch vom deutschen Gesetzgeber geplanten Einführung einer psychosozialen Prozessbegleitung über § 406 g StPO n.F. ist als bundesweiter Standard eine unbewusste Zeugenbeeinflussung durch die Betreuung auszuschließen. Es sollte daher in § 406 StPO n.F. aufgenommen werden, dass bei Zeugenbegleitung und psychosozialer Prozessbegleitung kein Gespräch über den Tatvorwurf erfolgt.

Zu § 406i StPO, Informationspflichten:

Die Informationspflichten sind europarechtlich vorgegeben und daher unvermeidlich. Ob sie in dieser Fülle dem Opfer einer Straftat tatsächlich weiterhelfen, kann daher nicht mehr überdacht werden. Sichergestellt werden muss jedoch, dass der Text der Formulare, über welche die Unterrichtung des Verletzten erfolgt, zutreffend vorsichtig gefasst ist und ein Opfer z.B. nicht in einen unbegründeten Zivilprozess treibt. Es muss daher klargestellt werden, dass er/sie erst dann als Verletzte(r) einer Straftat mit entsprechenden durchsetzbaren zivilrechtlichen Entschädigungsansprüchen angesehen werden kann, wenn eine rechtskräftige Verurteilung wegen der Tat vorliegt.

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