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Ein Verständigungsgespräch liegt dann vor, wenn nach seinem Inhalt ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verfahrensabsprache im Raum steht.

Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek hat den Angeklagten am 6. August 2021 wegen Betruges in 16 Fällen und des Computerbetruges in fünf Fällen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Zugleich hat es die Einziehung eines Betrages von 8474,06 Euro angeordnet.

Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten am 13. August 2021 ein unbestimmtes Rechtsmittel eingelegt. Nach Zustellung des Urteils am 27. September 2021 hat der Verteidiger am 25. Oktober 2021 sein Rechtsmittel als Revision konkretisiert und die allgemeine nicht näher ausgeführte Sachrüge sowie eine Verfahrensrüge erhoben.

Die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht zu Verständigungsgesprächen nach § 243 Abs. 4 StPO geltend gemacht wird, ist zulässig, das Revisionsvorbringen genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Der Angeklagte beanstandet zu Recht eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO. Ein Verständigungsgespräch liegt dann vor, wenn nach seinem Inhalt ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verfahrensabsprache im Raum steht. Ob dies der Fall ist, ist maßgeblich danach zu beurteilen, ob in dem Gespräch Verfahrensfragen erörtert und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahe liegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10; BVerfG NJW 2020, 2461; BGH NStZ-RR 2022, 355; BGH wistra 2022, 384; BGH NStZ 2022, 55). Abzugrenzen sind solche Erörterungen, bei denen ein Verfahrensergebnis einerseits und ein prozessuales Verhalten des Angeklagten andererseits in ein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung gesetzt werden, von sonstigen verfahrensfördernden Gesprächen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen (vgl. BGH NStZ 2020, 237; BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15). Auch kann die Abgrenzung zwischen einem reinen Aufzeigen der jeweils eigenen Standpunkte und dem Einstieg, wie diese möglicherweise in Einklang gebracht werden können fließend sein. Im Zweifel ist ein solches Gespräch mitzuteilen (vgl. LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 57).

Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gehört dabei zu den vom Gesetzgeber zur Absicherung des Verständigungsverfahrens normierten Transparenz- und Dokumentationsregeln, durch die gewährleistet werden soll, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BGH StraFo 2022, 436; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21; BGH StV 2018, 6; BGHSt 60, 150; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 55).

Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat der Vorsitzende daher nach Verlesung des Anklagesatzes über Erörterungen gemäß §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die vor der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Kommt es zu solchen Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung, so hat der Vorsitzende nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch dies bekanntzugeben (vgl. BGH NStZ-RR 2020, 87; BGH StV 2021, 3). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen daher nicht nur darüber informiert werden, dass Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, wer an den Gesprächen teilgenommen hat, welche Standpunkte von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfGE 133, 168; BVerfG NJW 2020, 2461; BGHSt 59, 252; BGH NStZ-RR 2022, 80; BGH NStZ 2021, 506; BGH NStZ-RR 2021, 180; BGH StV 2021, 3). Diese Umstände sind auch im Fall erfolgloser Verständigungsbemühungen mitzuteilen (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; BGHR StPO § 257c Abs. 1 Erörterungen 1; BGH StraFo 2022, 436; BGH NStZ 2020, 751; BGH NStZ 2014, 416; BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 – 4 StR 64/22), und zwar regelmäßig alsbald nach der Fortsetzung der Hauptverhandlung (vgl. BGH NStZ 2022, 761; BGH NStZ 2018, 419; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 56).

An diesen Grundsätzen gemessen traf den Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StPO. Jedenfalls bei der Unterredung am 23. Februar 2021 wurde durch den Verteidiger eine Verknüpfung zwischen einem möglichen Geständnis, also dem prozessualem Verhalten des Angeklagten, und dem Verfahrensergebnis hergestellt. Die Erörterung ging damit über die bloße Darstellung der eigenen Meinung hinaus und es handelte sich nicht lediglich um „Sondierungsgespräche“ ohne Bezug zu einer einverständlichen Verfahrenserledigung. Dass der Vorsitzende, wie dieser in seiner dienstlichen Stellungnahme dargelegt hat, an keiner Verständigung interessiert war, nimmt dem Begehren des Verteidigers nicht den auf eine Verständigung und damit mitteilungspflichtigen gerichteten Inhalt. Dies gilt auch für den Umstand, dass der Vorsitzende das Gespräch selbst nicht als mitteilungspflichtig eigeschätzt hat.

Auch das Gespräch vom 16. März 2021 war konkludent auf eine Verständigung gerichtet. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verband ein Geständnis mit der Prüfung, ob schädliche Neigungen beim Angeklagten vorgelegen haben und damit mit der zu verhängenden Rechtsfolge. Insbesondere auch im Licht des vorherigen Rechtsgesprächs handelte es sich um eine mitteilungspflichtige Erörterung, auch wenn sich der Vorsitzende zu dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft nicht geäußert hat.

Burhoff, Newsletter 7/23; OLG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2022 – 2 Rev 28/22

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