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Verweigerung von subsidiärem Flüchtlingsschutz wegen Begehung einer schweren Straftat

Der EuGH hat entschieden, dass eine Person nicht von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen werden kann, wenn ausschließlich anhand des nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Strafmaßes davon ausgegangen wird, dass sie eine „schwere Straftat begangen“ hat.

Die nationale Behörde oder das nationale Gericht, die bzw. das über den Antrag auf subsidiären Schutz entscheide, müsse die Schwere der Straftat mittels einer umfassenden Prüfung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls bewerten, so der EuGH.

Im Jahr 2000 wurde Herr Shajin A., ein afghanischer Staatsangehöriger, wegen der Verfolgung, der er in seinem Herkunftsstaat ausgesetzt war, in Ungarn als Flüchtling anerkannt. Im Rahmen eines später in Ungarn gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens ersuchte er darum, das Konsulat von Afghanistan vollständig über seine Lage zu unterrichten. Da sich aus dem Antrag auf Schutz, den Herr A. von sich aus an seinen Herkunftsstaat gerichtet hatte, der Schluss ableiten ließ, dass die Verfolgungsgefahr weggefallen war, erkannten ihm die ungarischen Behörden im Jahr 2014 den Flüchtlingsstatus ab. Nach der Aberkennung seines Flüchtlingsstatus stellte Herr A. einen neuen Antrag auf Anerkennung als Flüchtling und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Gegen die ablehnende Entscheidung erhob er Klage bei einem ungarischen Gericht, das der Klage stattgab und den zuständigen nationalen Behörden aufgab, ein neues Verwaltungsverfahren einzuleiten. In diesem neuen Verwaltungsverfahren im Jahr 2016 wiesen die ungarischen Behörden den Antrag von Herrn A. sowohl hinsichtlich der Anerkennung als Flüchtling als auch hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus zurück, sprachen jedoch zugleich ein Abschiebungsverbot aus. Insbesondere könne Herrn A. kein subsidiärer Schutz gewährt werden, da ein Ausschlussgrund im Sinne des ungarischen Asylgesetzes, mit dem die Flüchtlings- Richtlinie 2011/95/EU der Union umgesetzt wurde, vorliege, nämlich die Begehung einer „schweren Straftat“, die nach ungarischem Recht mit einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht sei. Herr A. focht die ablehnende Entscheidung vor den ungarischen Gerichten an und machte geltend, dass die nationale Regelung den mit ihrer Anwendung betrauten Verwaltungsorganen und den mit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidungen betrauten Gerichten jede Möglichkeit zur Abwägung entziehe, obwohl die in der Richtlinie (Art. 17 Abs. 1 Buchst. b – Gründe für den Ausschluss von der Gewährung des subsidiären Schutzstatus) verwendete Formulierung „eine schwere Straftat begangen hat“ impliziere, dass alle Umstände des betreffenden Einzelfalls zu würdigen seien.

Das mit dem Rechtsstreit befasste Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungsund Arbeitsgericht, Budapest, Ungarn) ersucht den EuGH, diese Formulierung als Grund für den Ausschluss von der Gewährung subsidiären Schutzes auszulegen. Insbesondere fragt es sich, ob die Schwere der Straftat ausschließlich anhand des nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats für eine bestimmte Straftat vorgesehenen Strafmaßes bestimmt werden kann.

Der EuGH hat entschieden, dass das Unionsrecht einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ausschließlich anhand des Strafmaßes, das nach nationalem Recht für eine bestimmte Straftat vorgesehen ist, davon ausgegangen wird, dass eine Person, die einen Antrag auf subsidiären Schutz gestellt hat, „eine schwere Straftat“, begangen hat, derentwegen sie von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen werden kann. Es sei Sache der zuständigen nationalen Behörde bzw. des zuständigen nationalen Gerichts, die oder das über den Antrag auf subsidiären Schutz entscheidet, die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen, wobei eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen sei.

Nach Auffassung des EuGH ergibt sich aus der Richtlinie, dass der Unionsgesetzgeber einen einheitlichen Status für alle Personen, denen internationaler Schutz gewährt wird, einführen wollte, und dass er sich hinsichtlich der Ausschlussgründe an den auf Flüchtlinge anzuwendenden Regelungen orientiert hat, um sie – soweit möglich – auf Personen auszuweiten, denen subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist. Der EuGH verweist ferner auf seine Rechtsprechung, wonach jeder Entscheidung, eine Person von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen, eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des Einzelfalls vorausgehen muss, was dem automatischen Erlass einer Entscheidung entgegensteht (vgl. EuGH, Urt. v. 09.11.2010 – C-57/09 und C-101/09). Dieses Erfordernis sei auf Entscheidungen über den Ausschluss vom subsidiären Schutz zu übertragen.

Dem Kriterium des in den nationalen strafrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Strafmaßes komme zwar eine besondere Bedeutung bei der Beurteilung der Schwere der Straftat zu, die den Ausschluss vom subsidiären Schutz rechtfertige. Gleichwohl dürfe sich die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats erst dann auf den Ausschlussgrund berufen, nachdem sie in jedem Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt seien, vorgenommen habe, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigten, dass die Handlungen des Betreffenden, der im Übrigen die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erfülle, unter diesen Ausschlusstatbestand fallen.

Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 131/2018

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