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Der EuGH hat entschieden, dass die deutschen Staatsanwaltschaften keine hinreichende Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive bieten, um zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehles befugt zu sein.

Der Generalstaatsanwalt von Litauen biete hingegen eine solche Gewähr für Unabhängigkeit, so der EuGH.

Zwei litauische Staatsangehörige und ein rumänischer Staatsangehöriger wandten sich vor den irischen Gerichten gegen die Vollstreckung Europäischer Haftbefehle, die von deutschen Staatsanwaltschaften (Staatsanwaltschaft Lübeck und Staatsanwaltschaft Zwickau) und vom Generalstaatsanwalt von Litauen zur Strafverfolgung ausgestellt wurden. Ihnen werden vorsätzliche Tötung und schwere Körperverletzung (OG), Diebstahl mit Waffen (PF) bzw. Bandenraub oder Raub mit Waffen (PI) zur Last gelegt. Die drei Betroffenen machten geltend, die deutschen Staatsanwaltschaften und der Generalstaatsanwalt von Litauen seien nicht zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehles befugt, da sie keine „Justizbehörde“ im Sinne des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl seien (Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26.02.2009 (ABl. 2009, L 81, 24) geänderten Fassung). In Bezug auf die deutschen Staatsanwaltschaften trugen OG und PI insbesondere vor, sie seien nicht von der Exekutive unabhängig, da sie zu einer Verwaltungshierarchie unter der Leitung des Justizministers gehörten, so dass die Gefahr einer politischen Einflussnahme bestehe. Der Supreme Court (Oberster Gerichtshof, Irland) und der High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) ersuchten den EuGH in diesem Kontext um die Auslegung des Rahmenbeschlusses. Da PI sich aufgrund des gegen ihn ergangenen Europäischen Haftbefehles in Irland in Haft befindet, hat der EuGH dem Antrag des High Court stattgegeben, das PI betreffende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen.

Der EuGH ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Staatsanwaltschaften eines Mitgliedstaates, die wie die deutschen Staatsanwaltschaften der Gefahr ausgesetzt sind, im Rahmen des Erlasses einer Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehles unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive, etwa eines Justizministers, unterworfen zu werden, nicht unter den Begriff „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne des Rahmenbeschlusses fallen.
Der als eine strukturell von der Judikative unabhängige Stelle für die Verfolgung von Straftaten zuständige Generalstaatsanwalt eines Mitgliedstaates wie der Generalstaatsanwalt von Litauen, dessen Status ihm eine Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive im Rahmen der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehles verschafft, fällt hingegen unter den genannten Begriff.

Nach Auffassung des EuGH ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Europäische Haftbefehl im strafrechtlichen Bereich die erste konkrete Verwirklichung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung darstellt, das seinerseits auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten beruht. Diese beiden Grundsätze hätten fundamentale Bedeutung, da sie die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raumes ohne Binnengrenzen ermöglichten.

Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung setze voraus, dass Europäische Haftbefehle nur zu vollstrecken seien, wenn sie die im Rahmenbeschluss aufgestellten Voraussetzungen erfüllten. Da es sich bei einem Europäischen Haftbefehl somit um eine „justizielle Entscheidung“ handele, müsse er u.a. von einer „Justizbehörde“ ausgestellt worden sein.

Zwar könnten die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Grundsatz der Verfahrensautonomie in ihrem nationalen Recht die für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehles zuständige „Justizbehörde“ bestimmen, doch dürften Bedeutung und Tragweite dieses Begriffes nicht der Beurteilung durch jeden Mitgliedstaat überlassen bleiben, sondern müssten in der gesamten EU einheitlich sein.

Es treffe zu, dass sich der Begriff „Justizbehörde“ nicht allein auf die Richter oder Gerichte eines Mitgliedstaates beschränke, sondern so zu verstehen sei, dass er darüber hinaus die Behörden erfasse, die in diesem Mitgliedstaat an der Strafrechtspflege mitwirkten, im Unterschied insbesondere zu Ministerien oder Polizeibehörden, die zur Exekutive gehörten.

Der EuGH geht davon aus, dass sowohl die deutschen Staatsanwaltschaften als auch der Generalstaatsanwalt von Litauen eine wesentliche Rolle im Ablauf der Strafverfahren spielen und deshalb an der Strafrechtspflege mitwirken.

Die mit der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehles betraute Behörde müsse jedoch bei der Ausübung ihrer Aufgaben unabhängig handeln, auch wenn der Europäische Haftbefehl auf einem nationalen Haftbefehl beruhe, der von einem Richter oder einem Gericht erlassen worden sei. Sie müsse dabei in der Lage sein, diese Aufgaben in objektiver Weise wahrzunehmen, unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Gesichtspunkte und ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Entscheidungsbefugnis Gegenstand externer Anordnungen oder Weisungen, insbesondere seitens der Exekutive, sei, so dass kein Zweifel daran bestehe, dass die Entscheidung, den Europäischen Haftbefehl auszustellen, von ihr getroffen worden sei und nicht letzten Endes von der Exekutive.

Zu den Staatsanwaltschaften in Deutschland hat der EuGH festgestellt, dass nicht gesetzlich ausgeschlossen ist, dass ihre Entscheidung, einen Europäischen Haftbefehl auszustellen, im Einzelfall einer Weisung des Justizministers des betreffenden Bundeslandes unterworfen werden könnte. Daher erfüllten sie eines der Erfordernisse für ihre Einstufung als „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne des Rahmenbeschlusses offenbar nicht, und zwar das Erfordernis, der einen solchen Haftbefehl vollstreckenden Justizbehörde die Gewähr für unabhängiges Handeln im Rahmen seiner Ausstellung zu bieten.

Dagegen dürfte der Generalstaatsanwalt von Litauen als „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne des Rahmenbeschlusses einzustufen sein, denn sein Status in diesem Mitgliedstaat gewährleiste nicht nur die Objektivität seiner Aufgabe, sondern verschaffe ihm auch eine Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive im Rahmen der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehles. Der EuGH vermag allerdings den ihm vorliegenden Akten nicht zu entnehmen, ob die Entscheidungen des Generalstaatsanwalts über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehles Gegenstand eines Rechtsbehelfes sein können, der den einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen voll und ganz genügt; dies zu prüfen sei Sache des Supreme Court.

Pressemitteilung des EuGH Nr. 68/2019 v. 27.05.2019

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