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Allgemeines Strafrecht

Namensnennung verurteilter Straftäter in Online-Archiven zulässig

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat entschieden, dass das Recht der Öffentlichkeit, im Internet archivierte Informationen abrufen zu können, das Recht auf Vergessen verurteilter Straftäter überwiegt.

Die Beschwerdeführer wurden im Jahr 1993 wegen Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Sie wurden im August 2007 und im Januar 2008 auf Bewährung aus der Haft entlassen. Im Jahr 2007 klagten die Beschwerdeführer vor dem LG Hamburg gegen den Radiosender Deutschlandradio, um die Anonymisierung ihrer personenbezogenen Daten, die in Archiven auf der Website des Radiosenders abrufbar waren, zu erreichen. Mit zwei Urteilen vom 29.02.2008 (324 O 459/07, 324 O 469/07) gab das LG Hamburg den Klagen der Beschwerdeführer statt. Es befand insbesondere, dass das Interesse der Beschwerdeführer, so lange nach ihrer Verurteilung nicht mehr mit ihren Taten konfrontiert zu werden, das Interesse der Öffentlichkeit informiert zu werden überwog. Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzlichen Urteile (OLG Hamburg, Entsch. v. 29.07.2008 – 7 U 30/08, 7 U 31/08). Der BGH hob jedoch die Entscheidungen mit der Begründung auf, dass die Vorinstanzen das Recht auf freie Meinungsäußerung des Radiosenders und das von diesem verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht ausreichend berücksichtigt hätten (BGH, Urt. v. 15.12.2009 – VI ZR 227/08, VI ZR 228/08). Im Juli 2010 entschied das BVerfG, die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer nicht zur Entscheidung anzunehmen. Weitere gleichfalls mit ähnlicher Begründung eingereichten Klagen gegen die Wochenzeitschrift Der Spiegel und die Tageszeitung Mannheimer Morgen gaben Anlass zu gleichgelagerten Verfahren, führten indes letztlich zu den gleichen rechtlichen Schlussfolgerungen.
Unter Berufung auf Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) rügten die Beschwerdeführer, dass es der BGH abgelehnt hatte, den beklagten Medien zu verbieten, auf ihrem Internetportal die Abschrift des Deutschlandradio-Programms bzw. die schriftlichen Berichte des Spiegel oder des Mannheimer Morgen über ihren Strafprozess und ihre Verurteilung wegen Mordes abrufbar zu halten. Sie behaupteten, hierdurch sei ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens verletzt worden.

Der EGMR hat entschieden, dass keine Verletzung von Art. 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vorlag.

Der EGMR hat sich der Schlussfolgerung des BGH angeschlossen, dass die Medien die Aufgabe hätten, sich an der Meinungsbildung zu beteiligen, indem sie der Öffentlichkeit die in ihren Archiven verwahrten Informationen zur Verfügung stellten. Der EGMR wies darauf hin, dass die Art und Weise, wie mit einem Thema umgegangen werde, eine Frage der Pressefreiheit sei und Art. 10 EMRK den Journalisten die Entscheidung darüber lasse, welche Einzelheiten veröffentlicht werden sollten und welche nicht, sofern diese Auswahl den ethischen Standards ihres Berufes und ihren Standesregeln entspreche. Die Aufnahme von individualisierenden Elementen in einen Artikel, wie etwa der vollständige Name der betroffenen Person, stelle einen wichtigen Aspekt der Pressearbeit dar, gerade im Falle von Strafverfahren, die ein beträchtliches Interesse der Öffentlichkeit geweckt hätten, welches selbst durch einen gewissen Zeitablauf nicht erloschen sei.

Der EGMR stellte zudem fest, dass sich die Beschwerdeführer im Rahmen ihres Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Jahr 2004 selbst an die Presse gewandt und eine Reihe von Dokumenten weitergeleitet hatten, verbunden mit der Aufforderung, die Öffentlichkeit über das Verfahren weiterhin zu informieren. Diese Verhaltensweise relativiere ihre Hoffnung, eine Anonymisierung in den fraglichen Berichten oder ein Recht auf Vergessenwerden im Internet geltend machen zu können.

Letztlich kam der EGMR zu dem Ergebnis, dass es unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums der nationalen Behörden, welcher ihnen bei der Abwägung konkurrierender Interessen zukomme, der Bedeutung des Zugangs zu sachlichen Berichten sowie des Verhaltens der Beschwerdeführer gegenüber der Presse keine ernsthaften Gründe gebe, die Ansicht des BGH durch eine andere Auffassung zu ersetzen.

Quelle: Pressemitteilung des EGMR

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