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Allgemeines Strafrecht

Der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO kommt kein Strafklageverbrauch zu

Gegen den Angeklagten war unmittelbar nach dem Tattag unter dem Aktenzeichen 71 Js 2818/19 StA Münster ein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung, Beleidigung und Nötigung eingeleitet worden.

Den Ermittlungsbeamten und der Staatsanwaltschaft war zu diesem Zeitpunkt aus dem polizeilichen Bericht bekannt, dass der Angeklagte auf der Höhe der Unfallstelle mit seinem PKW stehen geblieben und nicht weitergefahren war, obwohl er von den Zeugen N und O hierzu mehrfach aufgefordert worden war. Bekannt war zu diesem Zeitpunkt auch, dass der Angeklagte hierdurch die Weiterfahrt des Rettungswagens verzögert hatte. Nicht bekannt war jedoch, wie lange die Weiterfahrt verzögert worden war. Schließlich ging aus der Ermittlungsakte auch hervor, dass der Angeklagte sich beschwert und den Zeugen L als „bekloppt“ bezeichnet haben soll. Die Ermittlungsbeamten hatten zunächst keine Zeugen vernommen.

Mit Zustimmung des Amtsgerichts Ibbenbüren hat die Staatsanwaltschaft Münster mit Verfügung vom 04. März 2020 das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO eingestellt und dies damit begründet, dass der Angeklagte nicht vorbestraft sei, keine Gewalt angewandt habe und durch das Ermittlungsverfahren schon hinreichend beeindruckt worden sei.

Aufgrund dieser Erkenntnisse, die sich aus den Zeugenaussagen in dem Verfahren 70 Js 871/19 StA Münster ergaben, hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wieder aufgenommen (nunmehr unter dem Aktenzeichen 70 Js 518/20 StA Münster). Von Seiten der Staatsanwaltschaft ist dies damit begründet worden, dass sich nunmehr ein hinreichender Tatverdacht für eine Straftat gem. § 115 Abs. 3 StGB durch die Behinderung des Rettungswagens ergeben habe. Zudem begründeten die Zeugenaussagen erstmals auch einen hinreichenden Tatverdacht für eine falsche Verdächtigung gem. § 164 StGB zu Lasten des Zeugen O. Auch in einer Gesamtschau sei eine Einstellung aufgrund der neu gewonnenen Erkenntnisse nicht mehr sachgerecht.

Am 18. September 2020 hat die Staatsanwaltschaft Münster dann Anklage wegen Widerstands gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, Beleidigung und falscher Verdächtigung erhoben. Mit Beschluss vom 08. Januar 2021 hat das Amtsgericht Ibbenbüren das Verfahren gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs der falschen Verdächtigung eröffnet, eine Eröffnung im Übrigen jedoch abgelehnt. Das Amtsgericht hat die Teilablehnung der Eröffnung damit begründet, dass insoweit Strafklageverbrauch eingetreten sei. Eine gerichtliche Prüfung habe seinerzeit stattgefunden, da das Gericht auch bei der Einstellung gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO den Akteninhalt überprüfe. Zudem seien keine erheblichen Gründe erkennbar, die den Sachverhalt nun anders darstellten. Der gesamte Sachverhalt, der nunmehr zur Anklageerhebung geführt habe, sei der Staatsanwaltschaft auch schon zum Zeitpunkt der Einstellung bekannt gewesen.

Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Münster hat das Landgericht Münster mit Beschluss vom 17. Februar 2021 stattgegeben und die Anklage auch hinsichtlich des bis dahin nicht eröffneten Teils der Anklage vor dem Amtsgericht Ibbenbüren zugelassen.

Das Landgericht begründet seinen Beschluss damit, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ nicht gegeben sei. Eine staatsanwaltliche Verfahrenseinstellung mit Zustimmung des Gerichts entfalte keinen Strafklageverbrauch. Das Landgericht hat zur Begründung weiter ausgeführt, dass auch ein sachlicher Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens – sofern dieser überhaupt vorliegen müsse – gegeben sei. Denn durch die Zeugenaussagen im Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen O hätten sich Anhaltspunkte für ein weiteres strafbares Verhalten des Angeklagten ergeben, welche der Staatsanwaltschaft seinerzeit bei Verfahrenseinstellung nicht bekannt gewesen seien.

Dieser Ansicht ist nunmehr auch das Amtsgericht Ibbenbüren in seiner Urteilsbegründung gefolgt. Es hat ausgeführt, anlässlich der Einstellung gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO sei eine sachliche Prüfung durch das Gericht nicht erfolgt. Es entspreche der Rechtswirklichkeit, dass die Akten durch das Gericht in diesem Stadium nur kursiv geprüft würden, zumal eine Verfahrenseinstellung auf Antrag der Staatsanwaltschaft auch im Interesse des Angeklagten liege und eine mündliche Verhandlung gerade nicht stattgefunden habe.

BeckRS 2022, 11454

Anmerkung:
Bei einer Einstellung nach § 153a StPO, die grundsätzlich eine Auflage beinhaltet, wäre eine Wiederaufnahme nicht mehr möglich. Mit Erfüllung der Auflagen tritt Strafklageverbrauch ein.

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