Aktuelles

Allgemein

Vorhersehbarkeit eines Unfalls bei erheblichem Mitverschulden des Unfallgegeners

Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein Mitverschulden des Unfallgegners die Vorhersehbarkeit eines Unfalls und seiner Folgen für den Unfallverursacher ausschließen kann, wenn das Mitverschulden in einem gänzlich vernunftwidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten besteht.

Der 1972 geborene, angeklagte Unfallverursacher beabsichtigte mit seinem Transporter Hyundai eine beampelte Kreuzung geradeaus zu überqueren. Von links kommend näherte sich der Unfallgegner mit seinem Pkw Mazda, um die Kreuzung aus seiner Sicht ebenfalls geradeaus zu überqueren. Im Kreuzungsbereich ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt. Der Angeklagte fuhr mit mindestens 65 km/h in den Kreuzungsbereich ein, der Unfallgegner fuhr ca. 30 km/h. Beide Fahrzeugführer überquerten mit einem geringen zeitlichen Abstand die jeweils für sie geltende Haltelinie. Welcher von ihnen einen Rotlichtverstoß beging, lässt sich nicht mehr klären. Trotz eingeleiteten Bremsmanövers kollidierte der Transporter im Kreuzungsbereich mit der rechten Fahrzeugseite des Mazdas. Neben dem Unfallgegner, der leicht verletzt wurde, erlitt dabei der Beifahrer des Mazdas so schwere Verletzungen, dass er wenige Wochen später verstarb.
Das LG Essen hatte nach durchgeführter Beweisaufnahme einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeitsüberschreitung als dem verkehrswidrigen Verhalten des Angeklagten und dem Unfall angenommen und den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Köperverletzung zu einer – in der Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzten – Freiheitsstrafe von sechs Monaten und einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt. Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ist das Landgericht dabei zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass der Unfallgegner bei Rot in die Kreuzung einfuhr und hat dessen verkehrswidriges Mitverschulden strafmildernd berücksichtigt. Nach Auffassung des Landgerichts ist die Vorhersehbarkeit des Unfalls mit seinen Folgen für den Angeklagten nicht auszuschließen. Gegen die Verurteilung legte der Angeklagte Revision ein.

Die Revision war erfolgreich: Das OLG Hamm hat das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des LG Essen zurückverwiesen, die den Fall erneut zu verhandeln und zu entscheiden hat.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat das Landgericht den Unfall mit seinen erheblichen Folgen zwar rechtsfehlerfrei dem fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoß des Angeklagten zugerechnet. Wäre der Angeklagte beim Passieren der Haltlinie durch den Unfallgegner – das sei der Beginn der kritischen Verkehrssituation – nur 50 km/h gefahren, hätte der Mazda die Unfallstelle bereits passiert, bevor sie der Transporter des Angeklagten erreicht hätte.

Allerdings sei noch nicht geklärt, ob der vom Landgericht zugunsten des Angeklagten unterstellte Rotlichtverstoß des Unfallgegners die Vorhersehbarkeit des Unfalls für den Angeklagten ausgeschlossen habe. Ein Mitverschulden des Unfallgegners könne die Vorhersehbarkeit des Unfalls für den Verursacher ausschließen, wenn es in einem gänzlich vernunftwidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten bestehe. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ließen sich Rotlichtverstöße nicht pauschal als „nicht gänzlich vernunftwidrig“ einstufen. Ein wesentliches Kriterium für ihre Bewertung sei gerade mit Blick auf ihre Folgen die Frage, wie lange die Ampel im Zeitpunkt des Verstoßes schon Rotlicht gezeigt habe. So werde der sog. qualifizierte Rotlichtverstoß (länger als eine Sekunde Rot) bereits durch die Bußgeldkatalogverordnung als grobe Pflichtverletzung bewertet. Im Übrigen wiege ein vorsätzlich begangener Rotlichtverstoß deutlich schwerer als ein fahrlässiger Verstoß. Zumindest eine vorsätzliche Begehung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes sei bei der gebotenen wertenden Betrachtung als gänzlich vernunftwidriges Verhalten anzusehen. Im vorliegenden Fall komme es daher darauf an, ob sich nähere Feststellungen zum Rotlichtverstoß des Unfallbeteiligten treffen ließen. Dies sei vom Landgericht in der erneuten Verhandlung zu klären, wobei verbleibende Zweifel nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen seien.

Der Beschluss ist rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm v. 27.10.2015

Eine Antwort hinterlassen

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*

captcha Bitte Code eintragen

* Die bezeichneten Felder sind Pflichtfelder.